Was ist ein Editorial und wie gehen wir miteinander um?
Versuch einer Antwort auf den Kommentar von Kochen et al. und die Leserbriefe auf mein Editorial in der ZfA 1/21

Ein Editorial ist das persönliche Vorwort eines Herausgebers einer Zeitschrift. Ich war Herausgeber der ZfA 1/21 und habe von dem Recht Gebrauch gemacht, meine Meinung zu äußern. Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie und das Recht auf Meinungsäußerung zählt zu unseren Grundrechten – Art. 5 GG.

Meine Meinung ist begründet. Sie stützt sich auf Zahlen, die frei zugänglich sind, auf Fakten, die jedem „Fakten-Check“ standhalten. Meine Kolleg*innen haben eine andere Meinung – das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dass sie ohne mein Wissen in das von mir freigegebene Heft eine Verleumdungsschrift einlegten. Das ist unkollegial.

Ebenfalls nicht in Ordnung ist, dass ihr Kommentar unsachlich und polemisch ist. Das beginnt bereits mit der Überschrift: „Verleugnung oder Verharmlosung“. In meinem Editorial wird COVID weder verleugnet noch verharmlost. Es werden Fakten genannt. Die Todesopfer der spanischen Grippe sind gut belegt [1], ebenso die Todesopfer durch COVID [2]. Bezogen auf die Bevölkerung beträgt das Verhältnis von Toten durch COVID zu den Todesfällen durch die spanische Grippe etwa 1:100. Es steht nirgends dass COVID nicht existiert oder harmlos ist. Über die Größenordnung der Gefahr mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Die Kommentatoren finden den Vergleich unzulässig. Eine Begründung hierfür liefern sie nicht. Dafür stellen sie einen Bezug zu den Kriegstoten im Nahen Osten her, der sich mir nicht erschließt.

Die spanische Grippe war nach drei Wellen vorbei. Bisher sind alle Pandemien nach wenigen Wellen vorbei gewesen. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es keine Menschen mehr. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig: Herdenimmunität, Mutation der Erreger, Änderung der Umweltbedingungen. Ob COVID nach der zweiten Welle vorbei ist, wissen wir nicht. Aber wir können ziemlich sicher sein, dass die Pandemie vorübergeht. Etwas anderes steht auch nicht in meinem Editorial. Es steht auch nirgends, dass wir nichts unternehmen sollen, um die Pandemie zu verkürzen oder die Zahl der Opfer zu reduzieren. Aber wir sollten ohne Polemik diskutieren, welche Mittel angemessen sind, und welche uns – global – mehr Schaden zufügen als nützen.

Mein Editorial war eine Einladung zum Diskurs. Meine Kolleg*innen – wie auch einige der Leserbriefschreiber – sind nicht bereit, diesen Diskurs zu führen. Stattdessen müssen kritisch denkende Menschen mit Polemik als Leugner und Verharmloser diffamiert und durch Falschaussagen verleumdet werden: Was hat das von mir nicht verfasste Papier des ACU Austria mit meinem Editorial zu tun? Den Kommentatoren war bekannt, dass ich mich von diesem Papier distanziert hatte. Es wird also lediglich benutzt um mich als Person zu beschädigen. Meiner Aufforderung, die verleumderische Passage aus dem Kommentar zu entfernen, wurde erst nachgekommen, nachdem ich mit rechtlöichen Schritten gedroht hatte.

Die Kommentatoren behaupten, „dass die … m-RNA-Vakzine…auch bei älteren Patienten wirken“. Diese Behauptung ist falsch und die Wortwahl „Patienten“ verrät, dass ihnen nicht bewusst ist, dass es sich bei zu impfenden Personen um Bürger*innen handelt, nicht um Patient*innen. Hier liegt ein entscheidender Unterschied: es gilt, sehr sorgfältig zwischen potenziellem Schaden und Nutzen abzuwägen. Das kann man nur nach umfassender Aufklärung. Ich schreibe in meinem Editorial: „Ob die Impfung dauerhaft hilft, lässt sich aus den vorliegenden Studienergebnissen nicht ableiten“. Die Autoren der Pfizer-Impfstudie schreiben selbst: „This report includes 2 months of followup…Therefore, both the occurrence of adverse events more than 2 to 3.5 months after the second dose and more comprehensive information on the duration of protection remain to be determined“ [3]. Auch die Wirkung bei älteren Menschen ist unbekannt. Das Konfidenzintervall des Impfschutzes bei den über 75jährigen reicht von minus 13,1% bis 100% [3].Inzwischen ist auch klar, dass die COVID-Impfstoffe alle – vor allem die Vektorimpfstoffe – zu gravierenden unerwünschen Wirkungen wie Sinusvenenthrombose mit Todesfolge führen können. Die unerwünschten Wirkungen sind selten. Jeder Mensch muss aber nach adäquater Aufklärung frei entscheiden können, ob er/sie geimpft werden möchte oder nicht. Eine solche partizipative, informierte Entscheidung gehört zu den Grundprinzipien der Evidenzbasierten Medizin.

Meine Enttäuschung über meine Kolleg*innen ist maßlos. Mit Menschen, die sich so verhalten, kann und werde ich nicht mehr zusammenarbeiten. Ich verabschiede mich daher als Herausgeber der Zeitschrift für Allgemeinmedizin und hoffe, dass mein Nachfolger es besser machen wird. Ich danke Ihnen allen, liebe Leserinnen und Leser, für das Vertrauen, dass Sie mir in den vergangenen 12 Jahren entgegengebracht haben. Vielleicht hatte ich es nicht verdient. Ich war und bin einer evidenzbasierten, kritischen Reflexion und der unermüdlichen Suche nach Wahrheit verpflichtet, in dem Wissen, dass unser menschliches Streben nach Erkenntnis immer nur einer Annäherung an Wahrheit gleichkommt, und ich wünsche mir zur Wahrheitsfindung einen offenen, angemessenen wissenschaftlichen Dialog – und die gleiche Bescheidenheit bei meinem Gegenüber, die ich breit bin in den wissenschaftlichen Entwicklungsprozess einzubringen. Daran wird sich auch durch COVID-19 nichts ändern.

Andreas Sönnichsen

1. Johnson NPAS, Mueller J. Updating the Accounts: Global Mortality of the 1918-1920 Spanish Influenza Pandemic. Bull. Hist. Med. 2002;76:105–15.

2. Center for Systems Science and Engineering. Coronavirus COVID-19 (2019-nCoV). Johns Hopkins Univ. 2021 [zitiert 12.2.2021]; https://www.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6

3. Polack FP, Thomas SJ, Kitchin N et al. Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N. Engl. J. Med. 2020;383:2603–15.